Auf S.K. Breitwiesers Torf-Forum Berlin, 1987/88.
Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs
(im Rahmen von Mythos Berlin zur 750-Jahr-Feier Berlin).
DAS GEWEBE AUS WÖRTERN
Schon wenn ich ihre Stimme hörte, ihren endlosen Redefluss kaum noch Standhalten konnte, blieb ich letzten Endes ein Kumpel, ein Freund von ihr. Ein Experte der Wörter. Und ich weiß: Leben ist zu allererst die Kunst des Aushaltenkönnens. Des Aushaltenmüssens. Auch dieses Parlando der BREITWIESER-Wörter. Ihre poetische Überhöhung. Ihre vergeistigte Plauderei. Ihre Erregungszustände. Ihre pflanzenhaften Verästelungen. Ihre Erklärungsversuche. Ihre Überflusswörter. Ihre Transferwörter. Ihre Überwältigungswörter. In endlosen Topographien errichtet, wirbelnd wie Sternenstaub, wie der Sound von herabstürzenden Kometen, von weitentfernten Galaxien. Das alles können sie sein: Strahlenaureolen und wertloser Abfall. Sichtstoff und verrätselte Dunkelheit. Auf alle Fälle ein dichtes Gewebe der Ummantelung, hinter dem sie ihr eignes ICH versteckt. Verbarrikadiert. Zu schützen versucht. Ein Gewebe aus Wörtern bestehend. Eine Art Schutzpanzer, der wie ein Magnetfeld wirkt, aus dem man als Interpret und Betrachter ihre Ideen, ihre Kunst erst geduldig herausreißen, herausarbeiten muss, so stabil ist ihr Wörter-Versteck. So vollkommen die Dichte ihrer Beredsamkeit, hinter der sich ein gekränkter, betroffener und irritierter Künstlermensch verbirgt.
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Wir Siebzig- und Achtzigjährigen leben in einer Warteschleife. Gewissermaßen unter Vorbehalt. In ambivalenter Verletzlichkeit. Aber immer noch auf der Suche nach dem Unerwarteten. Ungesehenen. Google digitalisiert die Bestände und wir sind zur Eile angetrieben, denn noch immer gibt es keinen bestimmten Ort im Gehirn für Kunst-Ideen. Nur diese Verflüssigung, diese Aufweichung von Substanz, von Gedächtnis und Erinnerung. Das sind beunruhigende Nachrichten, gewiss, Konfliktphasen, heillose Paradigmenwechsel, die kaum noch einer begreift. Alles wird eingescannt, gesammelt und archiviert. Aber noch immer gibt es keine angemessene Form der Bewertung. Überhaupt nichts Angemessenes. Nur Willkür und Kalkül. Die Kunst ist auf der Spur der Biederkeit. Der Geziertheit. Der emotionslosen Klaustrophobie. Da helfen solche Befindlichkeits-Erkundungen von uns Alten wenig. Was jetzt noch möglich scheint, ist DIE AUSWEITUNG DER ÜBUNGSZONE. Üben, üben, üben, schreibt Sloterdijk. Aber zurück zu den etwas kleineren Gedanken: zum Glück. So erinnere ich mich gerne an DEINE TORFWÜRFEL. Wir haben daraus Paläste und Notunterkünfte in Venedig und Wedding gebaut. Topographien für Niemanden: Es sei denn für das Große und Ganze. Charismatische ARCHITEKTUREN. Unvergesslich Dein römisches oder griechisches AMPHITHEATER, das Du aus diesen Würfeln errichtet hast und das am Ende mit Gras überwachsen war. Territorien der Verflüchtigung wie alle übrigen Bestandteile des Lebens. Unvergesslich auch DEINE EISENGITTER mit ihren aufrechten Mörder-Spitzen, mit denen die Rechthaber ihr AKW in Brockdorf schützten. Du ließest sie von einem Schmied nachbauen, um sie in meine Wewelsflether Galerie zu legen. Engagierte, gelungene Beschwörungen, die keinen zur Umkehr bewegten, gewiss. Unvergesslich auch die kleine KERAMIKFAUST, die ich Dir für die MOMENTE DES LICHTS mitbrachte: Es war ein wertloses Fundstück, ursprünglich die im Schmerz verkrampfte Faust des gekreuzigten Christus. Und noch heute sehe ich Deine TRÄNEN DER DINGE in meiner RÖMISCHEN SPUR! Ganz und gar unforciert. Losgekoppelt vom Schleudertrauma der Gegenwartshysterie unserer zeitgenössischen Kunst: Mit leichter Hand den Seelen der Dinge gewidmet, wie Kindern das Leben gelingt. Als letztes noch Dein TROJANISCHES PFERD aus Ton, das jetzt neben meinem Schreibtisch steht: Berührungsresistenz und vollkommen in seiner metaphysischen Wirkungsweise. Von Wörtern ummantelt, wie Du: Ein Körper - mit denkenden und kämpfenden Gliedmaßen gefüllt, wie die Legende berichtet.
.9. Mai 2009