Kunsttheorie / Kunstvermittlung

Marita Bombek | Köln
portrait
© S.K.B.

Marita Bombek 2011
WEBEN - Gewebe - Webwerk - webwork

verweben - verknüpfen - verknoten - verflechten - verfilzen - verstricken - verbinden - verdrehen - verschlingen - vernetzen.........

Textassoziationen zu Silvia Klara Breitwiesers Webwerk

"Ich werde [...] das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das "Sprachspiel" nennen."
Wittgenstein, PU, Paragraph 7

Unsere Sprache kennt viele Wörter, die mit textiler Begrifflichkeit spielen, denn es ist nicht zufällig so, dass "Text" und "Textiles" eine gemeinsame etymologische Wurzel haben (lat. textum, textere). Der Wortstamm meint sowohl das Weben - das Tun - wie das fertige Gewebe oder das Gesponnene, aber auch den gedanklichen Zusammenhang einer Rede oder eines Textes, seine symbolischen und metaphorischen Verknüpfungen und seinen „roten Faden“.
Auf der konkreten Ebene unseres Körpers bearbeiten wir mit den Händen ertastend Material, das formend sich gestalten lässt und machen vielleicht aus Wolle oder Seide Fäden, aus den Fäden ein Gewebe, aus einem Gewebe ein Kleid als schützende und schmückende Hülle für unseren Körper; wir nehmen Tonerde und formen aus den Schichten ein Gefäß, wir bauen aus Blättergeflecht und Holz oder Steinen ein Haus. Auf der imaginären Ebene unseres Geistes spinnen und verknüpfen wir Gedanken, verweben und formen sie zu Sätzen; sie werden zu Geschichten; sie sind unsere Informationen und Botschaften in der Kommunikation mit anderen. Unser Gehirn verknüpft Körpererfahrungen im Wechselspiel mit unseren Empfindungen und unserer Einbildungskraft, unsere Hände machen diese über unsere Sinneswahrnehmung "begreifbar". Sie schreibt sich rückversichernd und verankernd als "Begreifen" in unser Gehirn ein und hinterlässt Spuren der Erfahrung als Erinnerung.

Sind Gedanken- und Sprachgebilde, ob als gedachtes, gesprochenes oder geschriebenes Wort wirklich nur Sprachspiele? Oder sind sie die Probebühne für unser praktisches Tun im Allgemeinen und Besonderen, sind sie Ausdruck für unsere Realitäten und Träume, für imaginäre Wünsche und notwendige Wirklichkeiten? Kommen Gedanken wie Gewebe auch aus unserem Tun und unseren Erfahrungen mit dem Tun? Probieren wir nicht zuerst etwas aus und denken dann - im Nachdenken - darüber nach oder verhält es sich umgekehrt? Sicher wird man sagen können, es ist die Frage nach der Henne und dem Ei. Ich sage nein, denn Beides - Gedanken, Ideen und konkretes Machen sind nicht hierarchisch im Nacheinander zu verstehen, sondern wechselseitig eng und komplementär im Austausch von alten und neuen Erfahrungen und Ideen miteinander verbunden, so, dass sich die Frage nach der Balance von Tun und Denken stellen muss.

Textilien - Gewebe, Hüllen - sind in all ihrer Vielfalt der materialisierte Ausdruck konkreter und komplexer Gedankenverwebungen der menschlichen Imagination und der Erfahrungen eines Jahrtausende alten Experimentierens. Die ersten Gewebe, Behältnisse und Behausungen, so können Archäologen nachweisen, haben Menschen vor über 35.000 Jahre geschaffen. Homer und Ovid erzählen von den Webkünsten der mythologischen Königinnen der Antike, Helena oder Penelope. Diese beherrschten noch konkret den Gesamtplan des Webens feiner Gewebe und das Einweben menschlicher Zeit und Geschichte in kosmologische Zusammenhänge, so wie auch Arachné, die selbstbewusst mit ihrer Webkunst den Wettbewerb gegen Athene antritt und ihn gegen die Göttin gewinnt, obwohl doch allein die Götter befugt waren, Gewebe und Wandlung menschlicher Geschichte und Geschicke zu bestimmen. So wie die Nornen, die Schicksalsgöttinnen, von denen Platon sagt, dass sie mit Ihrer Kunst des "Sehens" und der Fadenschöpfungen im unendlichen Spinnen des Lebensfadens die endliche Länge und Stärke des Lebens der Menschen bestimmen konnten.
Die Königinnen der Neuzeit beherrschten diese Kunst des Spinnens oder das Aufbäumen eines Webstuhls und das Entwerfen und Weben komplexer Muster schon nicht mehr, sondern nur noch das schmückende Sticken nach Vorlagen, wie etwa von der schottischen Königin Maria Stuart berichtet wird.
Und heute? Heute wissen wir in westlichen Kulturen nicht einmal mehr, wie Gewebe oder ihre komplexen Muster entstehen. Unser kulturelles Gedächtnis über dieses Wissen schwindet, denn Stoffe werden hergestellt durch Maschinen, die programmiert und computergesteuert in menschenleeren Hallen stehen. Oder sie werden in fernen Ländern wie Indien gewebt, dort von Menschen, die die Tradition des Webhandwerks noch verstehen. Gandhi hatte jeden Tag gewebt oder gesponnen, um das materiale Wissen nicht zu verlieren und den Menschen zu zeigen, dass Textilien zu unserem Grundbedarf zählen und Menschen über Jahrtausende mit der Kunst ihrer Gewebe sich kunstvoll kleiden und ihr Brot verdienen konnten. Aber zählt dieses noch?
In unserer Kultur gilt dieses Können als kulturelle und konkrete Kunst nichts mehr, wir sind inzwischen angekommen bei immer mehr „zusehender Intelligenz“ und den immateriellen Sprach- und Computerspielen im w.w.w. - im worldwideweb. Aber auch deren Verwebungen, Vernetzungen, Verknüpfungen kennen wir zumeist nicht, sie sind uns aus den Händen gekommen. Jedoch, ... Nietzsches Wort bleibt wahr:

"Wir können nur eine Welt begreifen, die wir selber gemacht haben."
Nietzsche: Aus dem Nachlass der Achtzigerjahre.
Werke IV. Frankfurt/M. 1969, S. 16
 

Curriculum VitaeMarita Bombek, *1944 in Essen. Verheiratet, zwei Töchter, drei Enkelkinder.

Von 1996-2009 Professorin für Kunst und Kultur von Textilien und Modetheorie an der Universität Köln, Institut für Kunst- und Kunsttheorie, Leitung der Abteilung Textilwissenschaft bis 2009.
Gastprofessuren in Finnland, Helsinki (1999), Japan, Osaka (2004) und Korea, Seoul (2004 und 2006).

Studium
1963-1965 Modedesign (Diplom und Meisterbrief); 1964-1965 Kunstakademie Düsseldorf (bei Joseph Beuys, Hans Haacke, Otto Piene); 1977-1981 Einphasige Lehrerausbildung (ELAB) an der C.v.O.-Universität Oldenburg. 1981-1986; ebd. Promotionsstudium Sozialwissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie; Dissertation bei Prof. Dr. Rudolf Prinz zur Lippe und Prof. Dr. Ilse Modelmog. Thema: Kleidung der Aufklärung. Die Repräsentation des Bürgertums im 18. Jahrhundert und seine Vorgeschichte, Oldenburg 1994. Mitarbeit im wissenschaftlichen Ausstellungsprojekt von Rudolf zur Lippe „Geometrisierung des Menschen“, (Ausstellungen 1982-1998, Berlin, Oldenburg, Paris, Torún , Wien, Bielefeld, Bombay, Köln.

Aktuelles Forschungsprojekt
2007-2009 Forschungsprojekt „Corpus Kölner Borten“ mit Dr. Gudrun Sporbeck, Dr. Thomas Blisniewski, Dr. des. Ariane Koller und Dipl. Restauratorin Monika Nürnberg. (Gefördert durch Stiftung Rhein-Energie).
2009 Projektabschluss mit einer Internationalen Tagung im Museum für Angewandte Kunst Köln. (Gefördert durch DFG)
2012 (i.D.): Kölner Bortenweberei im Mittelalter. Corpus Kölner Borten. Marita Bombek, Gudrun Sporbeck (Hrsg.). Bd. 1., Regenburg 2012

Abbildung

Vortragsreihen, Tagungen, Symposien
1998 „TEXERE“ - Internationale Textil- Tagung. Rhenania und Universität zu Köln.
1999-2000 „Positionen des Textilen. Vortragsreihe mit Künstlern und Designern. Universität zu Köln im Museum Ludwig zusammen mit Prof. Dr. Ursula Frohne, Phil. Fak., KHI Universität Köln.
2009 „Corpus Kölner Borten“ zusammen mit Dr. Gudrun Sporebck und Dr. Thomas Blisniewski: Kölner Borten in der mittelalterlichen Textilwirtschaft in Köln. Internationale Tagung zum Abschluss des Forschungsprojektes Corpus Kölner Borten. (Gefördert von Stiftung Rhein-Energie und DFG). Ort: Museum für Angewandte Kunst in Köln

Projekte mit Künstlern und Studierenden (Auswahl)
Musik- und Performance Projekte mit dem Komponisten Hans-Joachim Hespos.
SKY-ART Projekte mit dem Umweltkünstler Otto Piene (Düsseldorf, MIT, Cambridge Mass. Boston).
2005 Künstlerisches Projekt mit der Fluxus- Künstlerin Mary Bauermeister (Köln)
2003-2005 Künstlerisch-wissenschaftliches Projekt mit der Künstlerin Veronika Moos-Brochhagen (Köln)
2002-2003 und 2004: Künstlerisches Projekt mit der Bildhauerin Patricia Waller und Studentinnen des Faches Textil an der Universität zu Köln (Ausstellungen im Anatomischen Institut der Universität zu Köln)

Publikationen (Auswahl)
Bombek, Marita; Sporbeck, Gudrun (Hrsg., i.D. 2012): Kölner Bortenweberei im Mittelalter. Corpus Kölner Borten. Bd. 1, Regensburg, Schnell & Steiner. • Bombek, Marita (Hrsg., i. E. 2012) Arbeitstitel: Vom Wind und dem Klang, der Luft und den tanzenden Tüchern. Projekte mit kleinen und großen Künstlern. Praxis der Ästhetischen Bildung mit Schülern, Studenten und Künstlern. • Bombek, Marita (2011): Passagen der Mode. Kleid und Mode im philosophischen Diskurs von Wechsel und Wandel. In: Festschrift für Rudolf zur Lippe. Hrsg. von Peter Seele Katrin Seele, Baltmannsweiler 2011, Schneider Hohengehren. • Bombek, Marita (2011) mit Katrin Gliemann und Anne Rose Meyer: Sicht - Schutz - Sichtschutz: Perspektiven der Raumplanung, Textilwissenschaft und Literaturwissenschaft. In: Verschleierungstaktiken. Strategien eingeschränkter Sichtbarkeit in Natur und Kultur. Hg. v. Anne-Rose Meyer u. Sabine Sielke. Bern, Frankfurt a. M., Peter Lang. • Marita Bombek (2010): Der wahre Weg kennt keine Methode. In: Offene Systeme. Ausstellungskatalog Dorothea Reese- Heim, Paderborn. • Bombek, Marita (2005): Kleider der Vernunft. Die Vorgeschichte bürgerlicher Präsentation und Repräsentation in der Kleidung. Münster, Lit.

marita.bombek(AT)uni-koeln.de
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