Kunsttheorie / Kunstvermittlung

Inken Dohrmann | Berlin
Inken Dohrmann
Foto + © SKB, VG Bildkunst 2019

 

An die
Berlinische Galerie
Alte Jakobstr. 124-128
10969 Berlin Berlin, 12. 7. 2019

Betr.: Eilige Botschaft

Bezug: Die Kunstinstallation / das skulpturale Ensemble DIE BERLINISCHE BOTSCHAFT / MUSEN- UND MUSEUMSBOTSCHAFTEN. Ein Trajekt von Silvia Klara Breitwieser

Am 12. Juli 2019 erging an Frau Heckmann, Leiterin der Kunst-Sammlung der Berlinischen Galerie (BG) – Landesmuseum für Moderne Kunst, Architektur und Fotografie, die folgende Nachricht:
Die Künstlerin und Urheberin des o. g. Kunst-Ensembles, das seit Jahren entlang der BG bis zur Lindenstraße installiert und seit 2010 angekauft ist, wird am 26. Juli 2019 80 Jahre alt!
Auf diesen Anruf erwiderte Frau Heckmann sinngemäß: Es gebe so viele Künstler/innen, die BG könne daher leider nicht jede/n bedenken.

Mein Kommentar: Die Botschaft der BG-Sammlungsleiterin deute ich weniger offen, eher indirekt verschlüsselt: die Künstlerin ist dem Propheten vergleichbar, der bekanntlich im eigenen Lande nichts gilt. D.h.: Der obigen Aussage ist zu entnehmen, dass das Werk von Künstlern und Künstlerinnen, die über keine internationale Reputation verfügen, nicht als erstklassig zu werten ist. Dass die BG Mitte der 1990er Jahre ihre Existenz einmal bedroht sah, ist Frau Heckmann wohl nicht mehr gegenwärtig. Heute ist der Fortbestand gesichert und - mit öffentlichen Geldern gefördert - politisch nicht gefährdet. Weil aber der Gropiusbau nach dem Fall der Mauer zu einer Art Bundeskunsthalle mutierte, mußte die BG 1996 ihr damaliges Domizil , trotz massiver Proteste aus den Reihen der Kunst- und Kulturschaffenden, dennoch verlassen.

Viele der Kulturschaffenden begannen damals, sich in das bislang so unzugängliche Berliner Umland zu orientieren, unter ihnen die Objektkünstlerin Silvia Klara Breitwieser. Nicht nur eroberte sie sich in der Nähe Potsdams ein Atelier ( Atelierhaus Panzerhalle bei Potsdam-Groß Glienicke / Berlin-Kladow), sondern auch neue Ausstellungsorte im Umland. Als Brandenburgs Hauptstadt besitzt Potsdam zwar denkwürdige Museen für historische Kunst und Kultur, ein vergleichbares Domizil für Werke der zeitgenössischen künstlerisch Tätigen fehlt jedoch. Auf diese Situation machte seinerzeit Silvia Klara Breitwieser mit ihrer Installation der „Musen- und Museumsbotschaften“ aufmerksam. Im Rahmen einer Kunstaktion wurde ihre Installation 1996 auf dem „Platz der Einheit“ inmitten von Potsdam aufgestellt. Die erste Präsentation dann ein Jahr später in Berlin – eine von mehreren - folgte 1997 just zu dem Zeitpunkt, als die Existenz des Berliner Landesmuseums für Moderne Kunst durch den Verlust seines Domizils im Gropiusbau bedroht war. Die von der Künstlerin an die Berlinische Galerie von einer Kunsthistorikerin * per Post als „eilige Botschaft“ übermittelte Bitte, nahm der damalige Direktor spontan an: Prof. Jörn Merkert erschien inmitten des Botschaften-Ensembles, „dem Avantgardetyp des zeitgemäßen Museums ohne Gebäude. Eine Botschaft aus Botschaften. Eine Kunsthalle ohne Dach und Fach. Das transparente Musem der Zukunft (SKB)“. Danach ermöglichte er der Künstlerin einen 2. Kurz-Präsentationsort im Hof des Postfuhramts im Berliner Scheunenviertel, sowie 2005 den heutigen Standort an der Berlinischen Galerie, entlang der Alten Jakobstraße und Am Berlin-Museum in Richtung Jüdisches Museum (seit 2010 als Ankauf).

Mit dem Platz am Kulturforum/ Potsdamer Platz als zeitweiligem Ausstellungsort machte Silvia Klara Breitwieser eindrucksvoll die mögliche Folge einer politischen Entscheidung sichtbar: Der Berlinischen Galerie, dem Museum für zeitgenössische Kunst, stand eine ungewisse Zukunft bevor.
Sowohl das Museum BG, als auch die Intervention und Installation von Silvia Klara Breitwieser bereichern heute nach wie vor und unverzichtbar das Berliner Stadtbild.

* Vgl. Dokumentation Silvia K. Breitwieser, Die Berlinische Botschaft - Musen- und Museumsbotschaften. Ein Trajekt. Hrsg. vom Künstlerhaus Bethanien, Berlin 1997.
ISBN 3-932754-00-x
→ Download des Katalogs "Musen- und Museumsbotschaften" von Berlin, 1997 als PDF-Datei, Größe ca. 13 MB 

Inken Dohrmann
 

Biografie geb. 1940 in Kiel. Studium an der Akademie für Grafik, Druck und Werbung, Berlin, Dipl.-Ing.. Studium der Kunstgeschichte und Publizistik, TU/FU Berlin, M.A.. Mitarbeiterin im BBK und Kulturwerk des BBK Berlin (1978 bis 1994). Seit 1980 Bearbeitung von Künstlernachlässen und Ersterfassung von Autoren-Nachlässen (u. a. Dietmar Kamper, Fritz Gilow). Veröffentlichungen über zeitgenössische Künstler/innen sowie Kuratierung von Ausstellungen. Seit 2003 Vorsitzende der Hans-Goetsch-Künstlerförderungs-Stiftung. Lebt in Berlin.

Veröffentlichungen (Auswahl)
- Ko-Autorin der Fernsehserie: Tendenzen der zwanziger Jahre. Kunst zur Zeit der Weimarer Republik, (4 Folgen à 29 Min.: Konstruktivismus, Surrealismus, Dadaismus, Realismus – Neue Sachlichkeit), SFB Berlin 1980
- „Standorte sind zum Verlassen da“, Video-Porträt der Photographin Martha Astfalck-Vietz, Jg. 1901, 54 Min., Nienhagen / Berlin 1992
- Hans Goetsch (1892 – 1981), Leben und Werk. Galerie im Körnerpark, Berlin, 1987/1988
- Mitherausgabe bei Silvia Breitwieser, Res Publica – Arbeiten im Öffentlichen Raum, Metro Verlag Julietta Scharf, Berlin 1995
- Eilige Botschaft, in: Silvia Breitwieser, Die Berlinische Botschaft / Musen- und Museums-botschaften. Ein Trajekt. Herausgeber: Künstlerhaus Bethanien, Berlin 1997
- Drei Generationen Buchbinderei Schelenz, Berlin 1997
- Sabine Hoffmann, Unter dem Licht im innersten Kreis, Stuttgart 1999
- Der Fall Annemirl Bauer. „Und weil Ihr mir mit Rausschmiss droht, hab ich beschlossen, Isolierung mehr zu fürchten als den Tod.“ In: Eingegrenzt – Ausgegrenzt. Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR von 1961 – 1989, Akademie Verlag Berlin, 2000
- 150 Jahre Verein Berliner Buchbindermeister 1849 e.V., Berlin 2002
- Rolf Curt – Leben und Werk. In: Rolf Curt Grafik – Malerei, hrsg. von Rosemarie Curt, Berlin, 2008