Dem Entrinnen sozio-kommunikativer Öde
durch technologische Vernetzung
Ein Zwischenruf
Das Telefon schweigt. Ist man ehrlich - fast beängstigend beruhigend schon. Dabei empfanden wir es als geradezu erlösendes Moment, damals im Winter neunundachtzig/neunzig des letzten Jahrhunderts, das erste Klingeln des Telefonapparates, im Souterrain eines Hauses am Rande Bielefelds, dem gefühlten Ende der Welt studentischer Tage, knapp unterhalb des Hanges des Teutoburger Waldes, ganz plötzlich technisch auf der Höhe der Zeit verbunden mit dem Außen. Und dieses Außen erreichte uns nun endlich beständig im Innen, ganz ohne unser Zutun: Freunde, Kommilitonen, Anverwandte. Bis dahin gingen jedem Gespräch zehn Minuten Fußweg voraus, hin zur gelben Telefonzelle (Modell TelH78), der Deutschen Bundespost gehörig, auf dem Dorfplatz gegenüber der Kirche, gleich neben der Arztpraxis, Hort gelebter Kommunikation vergangener Tage, heute ausgestorben, ausreichend Kleingeld zum Nachwurf bereit in der Hand, wahrhaft kommunizierend im öffentlichen Raum, allerdings faktisch allein, zumindest angewählte Personen miteinander verbindend, oft allerdings auch damals sich schon beschränkend auf erzwungene Mensch-Maschine-Kommunikation.
Seit dieser Zeit gewinnt der Grad eigener Entmaterialisierung beständig an Fahrt, dies mit eigenen Tun aktiv begleitend: neunzehnhundertsechsundneunzig die erste Emailadresse, das erste virtuelle Pseudonym dann zwei Jahre später, fast weise vorausschauend, schlicht mahnend "lostinspace_de", ausgerechnet um Handel zu treiben auf gerade entstehenden elektronischen Marktplätzen, anachronistisch schön dennoch die territoriale Verankerung in deutschen Gefilden, vielleicht etwas wie eine unterbewusste Selbstversicherung, eine Ankersetzung im Digitalen Nirwana (erst jetzt beim erneuten Anblick bewusst wahrnehmend in der immanenten begrifflichen Widersprüchlichkeit). Ende der Neunziger dann die erste Homepage, immer neue und ergänzende Emailadressen, virtuell irgendwann im neuen Jahrtausend technisch zusammengeführt in einem Postfach, SMS-Alarm gesichert jeder erwartete Posteingang, gefiltert aufbereitet auf mobiles Handgerät, abrufbar jede Meldung per Hot-Spot aus Zug oder Café. Kommunikation grenzenlos vernetzt. Schreiben, Lesen, Antworten, Löschen, eher selten Archivieren für dann auch noch definierte Ewigkeit, alles innerhalb weniger Augenblicke. Das Gegenüber stets abstrakt, wenn auch zumeist bekannt. Und der eigene Raum strahlt Ruhe aus. Nichts, wirklich gar nichts stört. Ruhig und auf unprätentiöse Weise irgendwie öd.
Seit Wochen, und dies eine nochmalige Steigerung, zumindest als solche empfunden, nun daheim das Telefon gänzlich verstummt, aus undefinierbaren, wohl höheren technischen Gründen, die Dame der Hotline bestätigt einem, sinniger Weise im ach so selten gewordenen persönlichen Gespräch, „Mit Ihrem Anschluss ist alles in Ordnung. Ihr Telefon funktioniert an sich!“ Und wenn nun doch nicht, ändert dies nichts, an das Grundsystem wird niemand gelassen, funktioniert doch das Internet noch einwandfrei und erst dessen Ausfall bedeutet den elektronischen Tod, virtuelle Unerreichbarkeit als geschäftlicher Exitus, selbstverständlich auch in privater Umgebung. Und nun schon länger, Woche für Woche, scheinbar unbemerkt für alle Außen: das Telefon schweigt*.
* Und doch schafft gerade zuvor Genanntes ungeahnten Raum für wahre Vernetzung und menschliche Nähe. Während nämlich die Technik vermeintlich unvermeidliche Kommunikationsprozesse für uns verbindlich steuert, gar nach Vorgaben die Spreu vom Weizen trennt, Dringlichkeiten kennzeichnet, ja nicht zuletzt Dritte automatisiert über Abwesenheiten in Kenntnis setzt und gleich noch mit wohlklingenden Worten um Verständnis wirbt, kann man selbst sitzen bei Törtchen und Kaffee, im Blick das echte Gegenüber, in persona, lachen, weinen, spinnen, erzählen, sich begeben auf den Weg, Neues zu sehen, Vertrautes neu zu sehen, Altes wieder zu sehen - und entwickeln, spannende Ideen, interessante Projekte, neue Begegnungen, echte Bereicherungen des Alltags, kurzum ein wunderbares Miteinander...
ES OBLIEGT DER AUTONOMIE EINES JEDEN, BESEELT VON DER IDEE VERSTÄNDIGEN ZUSAMMENWIRKENS, AUSZUFORMEN DIE ZU VERNETZENDEN BEZIEHUNGEN ( ) MIT BEDACHT UND RECHTEM AUGENMASS.