Elisabeth von Samsonow - Die Statue und die Schürzenobjekte
Mary Magdalene's ReImmigration Center, Jerusalem
Wunderbare Reise einer Statue
Zu einer Reise aufbrechen, im Sommer, am besten dorthin, von woher einem die interessantesten Nachrichten entgegenkommen. Es wird ein großer Reisekoffer hergestellt, eigentlich ein Sarkophag oder eine Couchette: ausgepolstert, verziert, mit Satinbettwäsche in leuchtendem Rot und Gelb. Es gibt auch Kleingepäck, ein Kosmetiktäschchen, Parfumflakons. Eigentlich handelt es sich im Falle der Reise meiner Statue um eine „Heimkehr“. Denn wenn man es im Licht ihrer Geschichte betrachtet, ist Maria Magdalena, geboren in Magdala am See Genesareth, keine „natürliche Französin“. Auch wenn sie bei Marseille mit ihrem Schiffchen gelandet ist und dann viele Jahre in einer Grotte im Massiv La Sainte Baume verbracht hat, schließlich ihre Gebeine in St. Maximin La Sainte Baume bzw. in Vézélay gelassen haben soll, war sie vielleicht Frankreichs prominenteste Immigrantin. Die Geschichten wandern mit den Leuten, Maria Magdalenas Geschichte hatte von da an ihr Zentrum nicht mehr zwischen See Genesareth und Jerusalem, sondern in „Europa“. Das Exil Maria Magdalenas entspricht dem Exil des Weiblichen in der Geschichte. Die Reise nach Jerusalem meiner Statue dreht diese Geschichte symbolisch um. Gibt ihr eine neue Drehung. Markiert einen neuen Punkt Null. Von hier aus, von diesem bestimmten Ort aus an der Stadtmauer Jerusalems zwischen dem Damaskustor und dem Herodestor, kommt jetzt ein neuer Impuls. An diese Stelle wurde die Statue in einer feierlichen Prozession getragen, mit Musik begleitet, von einer Gruppe von Leuten umgeben, die in den Händen weiße Lilien und Teppichklopfer hielten. Hier, an dieser ausgesuchten Stelle, wurde der „Sendemasten“ aufgestellt, die Statue, der Apparat, der EchoEmitter, die Informationskonserve, die unsterbliche Mumie. Eine Heimkehr nach ungefähr 1956 Jahren (wenn man dem Kalender Glauben schenken will). Eine späte, aber angemessene Ehrung und Feier.
Die Skulptur, die in der zeitgenössischen Kunsttheorie auf Grund mangelnder Kriterien und Kategorien ausgelassen wird, um nicht zu sagen: gesnobbt wird, sie besitzt für solche Operationen, wie ich sie im Sinn hatte, unüberbietbare Vorteile. Insofern sie einer transhumanen Chronik angehört (Dendrochronie oder Geschichte der Bäume) haftet ihrem „Fleisch“ etwas Objektivierendes an. Der Geschichte der Bäume zuzugehören heißt, reine Genealogie zu sein, reine Evolution, reine Erdlogik, Aufgehen im Metabolismus. Jede Skulptur ist im eigentlichen Sinne „Transplantation“, Ortswechsel der Pflanze. In dieser Transplantation bleibt aber die Pflanze bzw. ihre Gedächtnisbatterie (der Stamm) innerhalb der Echosphäre der Erde (biotopisch). Das Lindenholz nimmt die Information und hält sie zurück, anders und langsamer als Wasser. Holz ist daher der vornehmste Operator einer Tiefengeschichte, einer longue durée, die menschliches, nicht mehr nur geologisches (wie beim Stein) Geschichtsformat besitzt. Die Bedingung der Möglichkeit von Gedächtnis ist die elektromagnetische Interferenz des Erdfeldes mit ihren „Kleinkörpern“. Der Lindenstamm, der von uns verschickt und in Jerusalem herumgetragen wurde, wechselt (als Transpflanze im Transport) das Echofeld und hält seine Maria Magdalena Information in das Feld hinein (eine Form haben heißt: einen Zweck haben, griech. Entelechie). Das ergibt eine neue Interferenz, eine neue Gedächtniskonstellation.
Maria Magdalena taucht auf, um einen neuen Nullpunkt zu generieren. Die Gedächtniskonstellation zu verändern heißt, eine neue Geschichte zu erzählen. Die neue Geschichte ist die des Ausgleichs. Es ist die der Balance zwischen Männlich und Weiblich, nicht weniger als die Verkündigung der Gleichwertigkeit des Verschiedenen: zwei Hälften (Teppichklopfer/Lilie), die kybernetisch aufeinander reagieren. Es gibt auch ein Evangelium der Maria Magdalena. Der Teppichklopfer, ein unmittelbar an den Haushalt verweisendes Instrument, steht für das Weibliche, sofern damit Innerliches, Intimes, Häusliches, Privates gemeint ist. Ein in einer Prozession im öffentlichen Raum mitgeführter Teppichklopfer ist, wie Lacan sagen würde, nicht an seinem Ort. Der Teppichklopfer erhebt also eine Forderung, erstens die Disjunktion zwischen Weiblichkeit und Häuslichkeit und zweitens die Konjunktion zwischen Weiblichkeit und Öffentlichkeit. Der Teppichklopfer ist der provisorische Signifikant. Der Teppichklopfer ist meistens als schöner Knoten ausgebildet, was ihm einen einzigartigen ästhetischen Reiz gibt. Ferner steht er als Knotendarstellung mit anspruchsvoller Knotenmathematik in Beziehung. Und diese Mathematik verweist natürlich auf eine komplexen Diagrammatik des Raumes, die unweigerlich sowohl BildhauerInnen wie ArchitektInnen in ihren Bann zieht wie ein „Traktor“.
Die Form der Statue der Maria Magdalena ist selbst aus zwei sich ineinander schlingenden langen Linien entwickelt. Die gesamte Figur wird von sich schlängelnden Linien wie von hölzernen Oszillogrammen bedeckt. Damit drückt sie ein „Erdwissen“ aus oder die Technologie des Lebendigen, das sich im Schlängeln der Kräfte und Informationen, in der Integration des Bipolaren realisiert. Maria Magdalena verkörpert den idealen Moment, den Drehmoment, der die Bewegung (wieder) anstößt. Sie wird nicht ohne Grund als Apostola Apostolorum bezeichnet. Stellvertretend bewegt wieder sie die „weibliche Angelegenheit“. Jetzt, wo sie wieder zurückgekommen ist und öffentlich in Jerusalem gezeigt wurde, ist das Exil des Weiblichen beendet.