Lifesciences

Alexander Hofer | Mainz-Bischofsheim
portrait
© S.K.B.

Von der Gerontokratie zu Altenüberhang und Altenschwemme.
Nicht länger hilflos in Seilen und Netzen

Äußere Anlässe waren zunächst mein Ausscheiden aus dem Beruf und dann der Umzug nach Mainz-Bischofsheim. Da musste ich mich in einer neuen Umgebung endgültig mit dem Thema Älterwerden beschäftigen. Und wie immer tat ich das sehr gründlich. Da las ich dann, was andere schon Schlaues und Absurdes über das Thema geschrieben hatten. Deutlich zu unterscheiden waren Lob und Klage, wobei letztere im Laufe der Geschichte allmählich die Oberhand gewann. Die Ehrerbietung gegenüber dem Alter - allerdings wurden törichte Greise bereits in der commedia dell' arte heftig verspottet - wich zunehmend dem Jugendwahn und der Altersangst. An Ciceros De senectute knüpfte in jüngster Zeit der italienische Rechtsphilosoph Roberto Bobbio an. Und der war beim Schreiben immerhin schon 83, musste es also wissen! Weil nun inzwischen die ganze Menschheit älter wird, untersuchte das MPI für Bildungsforschung in Berlin mit empirischen Methoden auch die Entwicklung im Alter und kam dabei auf die Weisheit, die freilich niemand in den Schoß fällt und schon früh eingeübt werden sollte. Im Rahmen des Seniorenstudiums wurden dann an einzelnen Universitäten sogar spezielle Trainingskurse dazu angeboten, aber die kamen wohl bei den meisten viel zu spät. Welch ein Blödsinn also, zumal noch gar nicht klar ist, ob nicht schon Kinder weise sein können, da sie schon von mehreren Autoren zu wahren Philosophen erklärt wurden und die Kinderuniversitäten inzwischen schon von Experten beschallt werden, um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Aber ist das nicht eher ein Zeichen für die Infantilisierung unserer Gesellschaft? Jedenfalls ließ mich das Thema, in Würde, Weisheit, mit Zipperleins und wahrscheinlich multimorbid, älter zu werden, nicht mehr los, und ich steckte meine Nase sogar eine Zeitlang in gerontologische Fachliteratur. Dabei wurde mir schließlich klar, dass auch hier die komplexe Realität höchstens multifaktoriell mit unserer begrenzten Gehirnkapazität angemessen interpretiert werden kann.
Ja, das Leben ist eben nicht nur eine Angelegenheit von Ernährung, Fitnessstudios und Reisen. Und auch die Doppelhelix mit ihren basischen Buchstabensequenzen allein bringt es nicht. Denn was die Menschen in einer hyperindividualisierten Gesellschaft am meisten bedrückt, ist doch, ehrlich gestanden, die Einsamkeit, gerade bei hoher Betriebsamkeit (vgl. Paul Virilios „Rasender Stillstand“). Deshalb wird uns schon länger von allen Seiten zugerufen - vernetzt euch, vernetzt euch endlich - höchstpersönlich, am Telefon und natürlich auch im Internet, beruflich und privat aber z.B. auch altersspezifisch. Und so stieg ich dann erwartungsvoll in das Seniorennetzwerk 55Plus Wiesbaden ein und gehörte dort schon bald zu den Aktiven. Nach dem Muster der Cafés philos in Paris gründete ich einen Diskussionsclub für Praktische Philosophie, wo jeder/jede reden kann, wie ihm/ihr der Schnabel gewachsen ist. Ab und zu gebe ich als Semiprofi meinen Senf dazu. Und hinterher gehen wir dann meistens noch auf ein Bier. Das funktioniert - auf jeden Fall in der Dritten Lebensphase - ganz prima. Von der vierten will ich hier lieber nicht reden. Denn dann brauchst Du vor allem Mut! Aber das würde mir jetzt sowieso (noch) keiner glauben! Übrigens Methusalem, der wurde laut Gen 5,21-27 ganze 969 Jahre alt. Aber das kann doch wohl nicht stimmen!

Alexander Hofer

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© A.H.
 

Biografie Alexander Hofer, Düsseldorfer Jung mit drei Berufen: Einzelhandelskaufmann im Bereich Haushalt, Werkzeuge und Eisenwaren. Studienrat für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde. Dipl.-Psychologe - zuletzt an der Fachakademie für Sozialwesen in München.

allhof(AT)web.de