Lifesciences

Uta Tok | Berlin
portrait
© Sarah Hickling

webfehler im web

Ich bin der Webfehler. So plötzlich wie der Gedanke kam, so hartnäckig hat er sich eingenistet. Ich merke: So ein bisschen diebische Freude an dem Sätzchen ist auch dabei. Ja typisch... für mich. Silvia kann so unglaublich tolerant sein. Ich glaube an sie. Und bin fasziniert von ihrer wahrhaftig unerschöpflichen Energie. Ein Bündel Willenskraft und Phantasie-Leben, dem die Ängste um die Zerstörbarkeit durchaus nahe sind. Sich aussetzen und einmischen - ihre Wahl als treibendes künstlerisches Motiv. Meine zunehmend als Lebensmotiv.

Wie kam ich, der Webfehler, ins große Beziehungstuch? Zuerst waren die Bücher, die vielen. Dann die Windeln. Die Stein-, Tuch,- Mullwindeln. Dazwischen das Zuhören, beidseitig. Irgendwann war ich dann einfach da. Als Webfehler: Nicht Künstlerin, nicht west-, sondern ostsozialisiert, nicht so ganz „comme il faut“. Ein bisschen zu direkt, zu wenig - unwillentlich und auch willentlich - mit den Spielregeln vertraut. Auch ich viel Wille: verstehen wollen, gnadenlos um Wahrheit ringend. Und auch noch stolz dazu. Ich gebe zu, ein brisantes Gemisch.

Ich versuche mir den Webfehler vorzustellen. Da ist das Tuch der SBK aus ihrem menschlichen Beziehungs-Lebenswerk gewebt.

Es hat kräftige Farben, strahlende, viele eigenwillige Formen, skurril, verrückt auch... Kreatives verbindet sich mit Kreativem, darunter Struktur. Das vielleicht macht die Faszination aus, Lebendigkeit, die das Auge anlockt und verwirrt. Ab und an dann auch Bodenständiges, Beruhigendes. Streifen und Würfel. Der niederrheinische Familien-Grundund-Boden. Apotheker-Tradition. Konvention und Sicherheit.

Und jetzt ich, der Webfehler: Schleicht er sich ins Bunte oder ins Bodenständige ein? Wohl eher ins Bunte oder...? Ich weiß nicht so recht. Oder doch: Genau dazwischen, wo sich ruhige Form und Aufreizendes begegnen. Die Hand streicht über ein zart flauschiges Tuch und plötzlich ist da so ein dicker Knubbel.

Im schönsten geheimnisvollen Indigo, meiner Lieblingsfarbe. Ich erlaube mir die Anmaßung. Ein Etwas, das stört. Im besten Fall aber innehalten lässt. Ein Moment der provozierten Ruhe, des Verweilens. Emotionen lassen sich in so einem Moment nicht vermeiden.

Was zeigt sich? Ich sehe die Perfektionisten unter uns zusammenzucken, in der cholerischen Variante aufschreien. Die jupiterhaft weisheitsvollen werden staunend über das Gewebe streichen und über SEINE schicksalshafte Notwendigkeit meditieren. Die In-sich-Ruhenden sehen und vergessen im gleichen Moment: „Nichts, um aus der Ruhe zu geraten.“ Die Kreativen wissen um die gestalterische Logik solch eines Web- Fehlers.
Eigentlich hat diese Erscheinung es ja an sich, dass jeder sie gern weg haben möchte. Jeder, der das Vollkommene liebt und es bewundern möchte. Solche Webfehler-Ware kommt ins Outlet zum -oft stark -reduzierten Preis für Schnäppchenjäger. Ich bin schuld, der Webfehler. Lieber kaschieren, dann reicht es doch noch für den Designer-Shop, leicht reduziert? Oder noch besser: Den Webfehler zum Kunstgriff stilisieren.

Ich merke: Koketterie. Ich flirte gerade mit dem Webfehler. Ich mag ihn, ich mag mich mit meinen Unvollkommenheiten. Ich mag Silvia, die sich auf Webfehler einlässt mit ihrer schier grenzenlosen Neugier. Gesprächsgewebe wird möglich. Miteinander ergründen wollen. All zu Menschliches... und auch Politik. Nachdenkliches Fragen, dass die Antworten nicht von vornherein weiß. Jenseits von Urteilen und Verurteilen.

Archaische Mullwindeln im Pampers-Zeitalter und eine archaische Bibliothek zu Internet-Zeiten Sie haben uns zusammengeführt.

Nicht, dass wir das Netz zur effektiven Kommunikation und Pampers am Po der Enkel nicht zu schätzen wissen. Doch ganz tief im Herzen lieben wir auch das Alte, das Sinnliche - Gewebe, das weniger vergänglich ist. Seine Sprache, die unsere Sinne direkter anspricht. Bücher und Mullwindeln sind Web-Werke, Gewebtes, das unsere Sinne berührt: sehen, tasten, riechen. Wir können uns hingeben. Auch stinkenden Mullwindeln. Das Herz öffnet sich. Silvia verwandelt das gereinigte, aus vergangenen Mutter-(Pflichten)Zeiten Übriggebliebene in Kunst: „Steinwindeln“. Auch das, nun ihrerseits eine provokante Webfehler-Logik?

Dank Internet und Co erleben wir heute schier unerschöpfliches Beziehungsgewebe. Bringt es uns dem „Wer bin ich?“ und dem „Du“ wirklich näher? Ein Spielplatz für den Kopf?

Ich möchte in Augen schauen, interessanten Gesichtern begegnen, Lebenskräfte erspüren. Ablehnung erfahren. Sympathie genießen. Erleben wann und wie sich die Geister scheiden. Lasst uns zusammen den Faden spinnen! Dann sind Visionen nicht mehr individuelles Traumwerk, sondern gemeinsames Machwerk - Fäden, aus dem das Gewebe eines Zukünftigen entstehen kann. Stoff, Material und Form begegnen sich. Und der Webfehler? Das Fremde darf sein, der willkommene Stein des Anstoßes. Er verhilft zur Beweglichkeit im Denken und Fühlen und Wollen. Die Logik von Spinnen und Weben. Die Vision erspinnen, aus diesem Faden die neue Wirklichkeit weben - jetzt...

Wir reden so oft und gern vom Fremdenhass. „Natürlich, nicht wir, wir doch nicht.“ Nein, wir haben kultiviertere Formen, uns dem Fremden zu nähern, manchmal verschlingen wir es auch mit unserer Hingabe. Doch, wie halten wir es eigentlich mit dem Fremden beim Nachbarn, beim Kollegen, beim Partner? Wie schnell sind wir mit Urteil und Ablehnung bei der Hand. Freilich, das ist kein Fremdenhass. Oder? Das Schaf hat einen grünen Punkt. Da muss etwas nicht stimmen. Leidvolle Erfahrung. Eine Freundin aus meinem Web-Werk sagte einmal tröstend nach einer traurig machenden Erfahrung: „Du bist eben das Schaf mit dem grünen Punkt.“ Das war in diesem Moment aufmunternd gemeint.

Und es war der Augenblick, in dem ich den Webfehler zu meinem Markenzeichen gemacht habe. An mir dürfen sich die Geister scheiden. Der Webfehler ist selbstbewusster geworden. Für die Künstlerin eine Herausforderung.
Silvia, was meinst Du?

bild
 

Biografie Uta Tok, ein Leben zwischen den Welten: 30 Jahre Familie und Beruf - das heißt Mutter von drei Kindern, Ehefrau, Managerin eines fünfköpfigen Familienunternehmens und Vollzeit-Journalistin. 30 Jahre Journalismus, davon 20 Jahre Ost und 10 Jahre West - das heißt kritische Nahsicht zweier politischen Welten. Arbeit im Feuilleton mit dem Schwerpunkt Reportage, Porträt, Interview - das heißt Eintauchen in unterschiedlichste menschliche Lebenswelten. Diese recht umfassende und intensive Welterfahrung zusammenwachsen lassen für ein Drittes: Biografie-Beraterin - was heißt begleitend Lebenswege entschlüsseln zu helfen. Lebensmittelpunkte: Einst Leipzig, jetzt Berlin-Charlottenburg.

utatok(AT)googlemail.com